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Aktuelle Themen Pressebericht
aus der MainPost vom 11.11.2003
Der 9. November 1938 in Gerolzhofen
Ein dunkler Fleck in der
Stadtgeschichte
Stadt Gerolzhofen
mit wichtigen jüdischen Einrichtungen
Am 9. November 2002 trafen sich ca. Bürgerinnen und Bürger aus Gerolzhofen zu einem stillen Gedenken an die ehemaligen Gerolzhöfer mit jüdischem Glaubens, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 durch die Nazis vertrieben oder ermordet wurden.
Wir veröffentlichen hier die bei der Veranstaltung vorgetragenen Texte. Quelle war hauptsächlich die Veröffentlichung von Michael Pfrang: Die jüdische Gemeinde von Gerolzhofen. Darstellung zu ihrer Geschichte und ihrem Ende. Veröffentlicht am 12.12., 19.12.1984, 4.1 und 10.1.1985 in der Heimatzeitung „Der Steigerwald-Bote“. Neu herausgegeben als Broschüre von der Stadt Gerolzhofen und dem Historischen Verein in Gerolzhofen e.V.
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Die
jüdische Gemeinde von Gerolzhofen Michael Pfrang, 1985 Bestellung bei: Historischer
Verein in Gerolzhofen e.V. |
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Jüdische Gemeinde Gerolzhofen
Quelle:
Michael Pfrang: Die jüdische Gemeinde von Gerolzhofen, 1985
A TP Marktplatz (vor dem
Rathaus)
Begrüßung durch Birgid Röder.
Am Marktplatz allgemeine Erläuterungen zur
„Reichspogromnacht“ bzw. zur sog.
„Reichskristallnacht“ durch Toni Niedermeier.
Weg über die Weiße-Turm-Straße und Steingrabenstraße zur
ehemaligen Synagoge (Anwesen Steingrabenstraße 51).
B Ehemalige Synagoge
Erläuterung der Geschichte der Jüdischen Gemeinde in
Gerolzhofen durch Thomas Vizl.
Geschichte
der Jüdischen Gemeinde in Gerolzhofen in Stichpunkten:
Erste belegte Erwähnung von Juden in
Gerolzhofen: 14. Jahrhundert
In den folgenden Jahrhunderten wechselten
Phasen der relativen Tolerierung mit Phasen der Unterdrückung und Verfolgung.
Die „christlichen“ Fürstbischöfe von Würzburg und Bamberg setzten
beispielsweise 1420 alle in ihrem Herrschaftsbereich lebenden Juden gefangen
und erpreßten ein Lösegeld von 600.000 Gulden für die Freilassung. Negativ
hervor tat sich auch hier Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn.
Entwicklung
der jüdischen Gemeinde in Gerolzhofen:
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Jüdischer
Friedhof Gerolzhofen – frühes 18. Jahrhundert – zuständig für die Gemeinden
Altenschönbach, Prichsenstadt, Frankenwinheim, Lülsfeld, Traustadt,
Zeilitzheim, Obereuerheim und Gerolzhofen, sowie für einzelne Familien aus
Westheim, Schwebheim, Schweinfurt, Kitzingen, Brünnau und Kirchschönbach.
·
1821: 37 Juden in
Gerolzhofen
·
1830: Errichtung
der Synagoge in der Steingrabenstraße
·
1869: 58 Juden
·
1918: die Juden
wurden gleichberechtigte Staatsbürger
·
1933: 125 Juden
in Gerolzhofen
·
Es gab einen
israelitischen Frauenverein
·
und einen
Begräbnisverein für die Bestattungen
·
Demokratische
Selbstverwaltung der Gemeinde.
9. Nov. 2003: Führung und Gedenken
im Jüdischen Friedhof in Gerolzhofen
Evamaria Bräuer erläutert die
Besonderheiten und Geschichte des Friedhofs
Über 100 Personen nehmen teil,
darunter auch eine Augenzeugin einer Beisetzung in den 30er Jahren.
Erinnern wir an die 1933 in
Gerolzhofen lebenden Familien:
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Fam. Brodmann,
Bahnhofstraße 5
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Fam. Brodmann,
Bürgermeister-Weigand-Str. 16
·
Fam. Langstädter,
Bürgermeister-Weigand-Str. 16
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Fam. Hahn,
Rügshöfer Str. 10,
·
Frau Betz,
Rügshöfer Str. 10,
·
Fam. Pfeifer,
Rügshöfer Str. 10
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Fam. Hahn,
Salzstr. 5
·
Fam. Hahn,
Marktstr. 7
·
Frau Lichtenauer,
Marktstr. 7
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Fam. Hirsch,
Bahnhofstr. 16
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Fam. Hirsch,
Kolpingstr. 5
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Frau Kaufmann,
Kolpingstr. 5
·
Fam. Kaufmann,
Schuhstr. 20
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Herr Rosenstein,
Schuhstr. 20.
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Fam. Klein,
Schuhstr. 15
·
Herr Klein,
Häfnergasse 11
·
Frau Lewisohn,
Häfnergasse 11
·
Frau Lichtenauer,
Häfnergasse 11
·
Frau Reinstein,
Häfnergasse 11
·
Fam. Kohn,
Rügshöfer Str. 2
·
Fam. Krämer,
Steingrabenstr. 12
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Fam. Krämer,
Häfnergasse 7
·
Herr Selig,
Häfnergasse 7
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Fam. Krämer,
Salzstr. 25
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Fam. Krämer,
Marktstr. 17
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Fam. Krämer,
Schuhstr. 21
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Herr Künstler,
Bleichstr. 2
·
Fam. Künstler,
Bleichstr. 2
·
Fam. Lichtenauer,
Bahnhofstr. 13
·
Frau Samuel,
Bahnhofstr. 13
·
Fam. Lichtenauer,
Bahnhofstr. 13
·
Herr Lichtenauer,
Bahnhofstr. 16
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Fam. Löbhardt,
Marktplatz 15
·
Fam. Blumenthal,
Marktplatz 15
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Fam. Lonnerstädter,
Steingrabenstr. 13
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Fam. Rheinfelder,
Steingrabenstr. 15
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Fam. Prölsdorfer,
Bürgermeister-Weigand-Str. 1
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Fam. Prölsdorfer,
Marktplatz 6
·
Fam. Reinhold,
Bahnhofstr. 11
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Fam. Reiter,
Schuhstr. 25
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Fam. Rheinfelder,
Schuhstr. 8
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Fam. Rothschild,
Rügshöfer Str. 15
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Fam. Schwarz,
Marktstr. 5
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Fam. Schwarz,
Spitalstr. 12
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Fam. Stern,
Spitalstr. 1
Berufe: 21
Kaufleute, 13 Händler und Reisende, 3 Metzger, je 1 Schneider, Landwirt,
Modistin, Konditor und Religionslehrer.
Gerolzhofen in der national-sozialistischen,
faschistischen Diktatur:
·
1933: Der
Stadtrat wird aufgelöst, der gewählte Bürgermeister Philipp Weigand tritt
zurück.
·
Die 4
verbleibenden Stadträte der Bayerischen Volkspartei werden gezwungen, ihre
Ämter niederzulegen.
·
Der Stadtrat
beschließt am 8.9.1933: „Der Zuzug auswärtiger Juden nach Gerolzhofen ist
unerwünscht“.
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1934: Es hängen
Plakate am Floriansbrunnen: „Wer bei Juden kauft, ist ein Volksverräter“.
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1935:
Eheschließungen zwischen „Ariern“ und Juden werden verboten („Gesetz zum
Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“)
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1936 bis 1938:
Mehrfach werden Steine auf jüdische Häuser in Gerolzhofen geworfen.
·
1933 bis 1938: 24
Gerolzhöfer Juden emigrieren nach Amerika, Holland und Palästina.
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1938: Die
jüdische Bevölkerung ist auf 57 Einwohner zurückgegangen.
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1938: Frauen
müssen den Vornamen Sarah, Männer den
Vornamen Israel annehmen.
Die Reichspogromnacht
Verharmlosend wird
das durch die Nazis geplante und von SA und SS durchgeführte verbrecherische
Ereignis noch heute „Reichskristallnacht“ genannt.
In Gerolzhofen
fanden die Übergriffe auf jüdisches Eigentum und die gewollte öffentliche
Demütigung der jüdischen Mitbürger erst am 10. November statt.
·
Donnerstag,
10.11.1933, 12 Uhr: SA, SS und NSDAP durchsuchen die Synagoge und werfen alles durcheinander.
Die Frau des jüdischen Lehrers, Reiter, muß sich mit umgehängten Gebetsmantel,
Talar und Thoramantel am Eingang der Synagoge auf aufstellen und wird
mißhandelt.
·
Anschließend wird
die gesamte Einrichtung der Synagoge auf den Sportplatz an der Dingolshäuser
Straße (jetzt: Hallen- und Freibad) gebracht und dort verbrannt.
·
Jüdische
Wohnungen in Gerolzhofen werden durchsucht.
·
Nach Angaben
eines Augenzeugen werden Möbel und Einrichtungsgegenstände auf die Straße
geworfen.
·
24 Personen aus
Gerolzhofen werden festgenommen.
·
Die Gerolzhöfer
Synagoge wird nach der Zerstörung als Dienstraum für die SS genutzt.
Die geschädigten
Juden müssen alle Kosten der Zerstörungen selbst bezahlen und die deutschen
Juden müssen insgesamt 1 Milliarde RM
als Kontribution an die Reichskasse zahlen. Versicherungsansprüche werden
beschlagnahmt.
In der Folgezeit
werden die deutschen Juden entrechtet. Sie dürfen keine KFZ mehr besitzen oder
fahren und müssen diese abliefern. Ab 1939 dürfen sie keine
Einzelhandelsgeschäfte und Handwerksbetriebe betreiben. Die akademischen Titel
werden ihnen aberkannt und sie werden zum Verkauf ihrer Betriebe und des
Grundbesitzes meist zum Bruchteil des Verkehrswertes gezwungen. Die
Einkommensgrundlagen werden ihnen entzogen.
C Gedenkstein in der
Schuhstraße
Weitere Erläuterung der Geschichte der Jüdischen Gemeinde in
Gerolzhofen durch Thomas Vizl.
Deportation und „Endlösung“
·
1939: Es leben
noch 54 Einwohner jüdischer Konfession in Gerolzhofen.
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1940: 31 jüdische
Einwohner
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Mai 1941: 25
Juden. Letzte legale Auswanderung von Josef und Meta Krämer und Abraham und
Karolina Prölsdorfer nach Amerika
·
September 1941:
Juden müssen in der Öffentlichkeit den sog. „Judenstern“ tragen.
·
22. April 1942:
20 Gerolzhöfer Juden werden nach Würzburg transportiert. Sie dürfen nur wenig
Gepäck und Verpflegung mitnehmen. Am 25. April wurden sie, im Rahmen des 3.
Unterfränkischen Transports, mit einem Zug in das Konzentrationslager
Krasnystaw bei Lublin gebracht. Dort verliert sich die Spur der
unterfränkischen Juden. Vermutlich führte der Weg später in die
Vernichtungslager Belzek, Sobibor und Majdanek.
·
Nur noch 3 Juden
konnten vorübergehend in Gerolzhofen verbleiben. Ab 18. September 1942 war
Gerolzhofen „judenfrei“. Die drei noch in Geo verbliebenen alten Leute (70 bis
78 Jahre) wurden am 18. September nach Schweinfurt verbracht. Von dort ging es
weiter über Würzburg nach Theresienstadt.
Die jüdische
Gemeinde hat aufgehört zu existieren!
Es bleibt uns nur die Erinnerung an
1. Hilde Brückheimer (48 Jahre)
2. Hedwig Brückheimer (46)
3. Max Henle (60)
4. Meta Henle (59)
5. Paul Henle (17)
6. Robert Kaufmann (49)
7. Meta Kaufmann (48)
8. Samuel Krämer (55)
9. Helene Krämer (41)
10. Siegfried Krämer (59)
11. Kathi Langstädter (62)
12. Raffael Lichtenauer (64)
13. Jenny Lichtenauer (48)
14. Albert Lichtenauer (17)
15. Stefan Löbhardt (45)
16. Rosa Reinfelder (38)
17. Sigbert Reinfelder (14)
18. Werner Reinfelder (12)
19. Lina Reinfelder (51)
20. Fanny Weil (63)
21. Oskar Hahn (78)
22. Sara Hahn (72)
23. Babette Klein (70)
Sinn des Gedenkens
Wir dürfen die
jüdische Gemeinde und das Schicksal unserer ehemaligen jüdischen Mitbürger
nicht vergessen, damit
·
damit nie mehr
eine gesellschaftliche Gruppe, Religionsgemeinschaft, ein Volk oder eine Rasse
als Sündenbock herhalten muß;
·
damit wir
rechtzeitig gegen gesellschaftliche Unterdrückung, Faschismus, Rassismus und
Antisemitismus in Gerolzhofen vorgehen.
C Gedenkstein in der
Schuhstraße
Niederlegen eines Blumengebindes am Gedenkstein und
entzünden einer Wachskerze.
Rezitation eines Gedichtes durch Birgid Röder.
Schluß der Veranstaltung.